In meiner Jugend dachte ich: das kann weg!
Feminismus – ich kannte Frauen mit kurzen Haaren und Geschichten von lila Latzhosen und meine Mutter legte Wert darauf „Schüler*innen“ zu sagen und irgendwie hatte das alles herzlich wenig mit mir zu tun. Ich wollte keine kurzen Haare und erst recht keine lila Latzhosen und ich meinte, dass ich mich doch gemeint fühlte, wenn von „Schülern“ die Rede war. Ich meinte auch, dass ich keine Bälle fangen konnte, dass ich einen sozialen Beruf erlernen würde und dass ich in meinem Leben mit allerhöchstens zehn Männern intim werden dürfte, um nicht an Wert zu verlieren.
Ich dachte nicht, dass das, was ich dachte, etwas mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun hatte und ferner dachte ich, Feminismus sei etwas Altes, denn heutzutage durften wir ja alles was wir wollen. Ich fragte mich nicht, warum wir eigentlich wollen, was wir wollen.
Ich zum Beispiel wollte Hosen, die so eng waren, dass man darin nicht lange sitzen konnte und aus deren Bund Tangas genau so viele Millimeter herausguckten, dass es schon als sexy aber noch nicht als billig galt. Ich wollte bauchfrei im Winter, auch wenn das Blasenentzündung gab und Chemie in den Haaren, auch wenn das krebserregend war. „Wer schön sein will, muss leiden“ sagte ich und das sagten auch andere Frauen und daher konnte es nicht frauenfeindlich sein, denn es waren keine feindlichen Frauen, die das sagten.
Ich las Zeitschriften und ich sah Filme und ich lernte eine Menge über Männer und Frauen, über Frauen, die von Männern gemocht werden und vor allem darüber, wie enorm wichtig es für Frauen ist, von Männern gemocht zu werden. Ich sah viele Sitcoms, in denen als attraktiv und gebildet dargestellte Frauen Haushalt und Karriere schmissen während ihre als unattraktiv und unsensibel dargestellten Männer sich auf dem Sofa vorm Fernseher das Bier servieren ließen und es schien nichts daran verkehrt zu sein. Die Message war klar: es ist besser einen Mann zu haben, über den man schimpfen kann, als keinen.
Ich wusste, dass meine Oma in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von meinem Opa gelebt hatte und ich wusste, dass ich selbst studieren und mein eigenes Geld verdienen würde. Wozu also noch Feminismus?
Ich wusste aber auch, dass es für mich kein größeres Versagen geben könnte als unverheiratet und kinderlos zu bleiben. Mit Frauen die Single blieben, ganz egal wie erfolgreich sie sonst waren, stimmte etwas nicht. Sie waren bestenfalls kompliziert und „zu anspruchsvoll“ und schlimmstenfalls egoistisch und verkorkst. Ich wusste ebenfalls, dass meine fruchtbaren Tage als Frau gezählt waren. Ja – das wusste ich auch mit 14 schon genau – und daher wusste ich um die Dringlichkeit, von Männern gemocht zu werden. Das musste mir niemand sagen. Das sagte mir auch niemand. Jedenfalls nicht direkt. Indirekt war es omnipräsent. Liebenswert, dass hieß in erster Linie schön genug und in zweiter Linie unkompliziert zu sein. Unkompliziert, das hieß wenig eigene Bedürfnisse, wenig Ansprüche, überhaupt wenig „Eigenes“, wenn ich es recht bedenke. Ich bedachte es aber nicht recht.
Ob mir manchmal der Gedanke kam, dass Feminismus vielleicht doch noch nicht ausgedient haben könnte? Nein. Denn ich fühlte mich ja frei. Frei über eigene Grenzen zu gehen, die ich nicht gelernt hatte wahrzunehmen. Unbegrenzte Freiheit sozusagen. Frei zu allem „Ja“ zu sagen, nicht ahnend, dass die größte Freiheit oft im „Nein“ liegt. Aber ich richtete mich nicht nach fremden Maßstäben, waren sie doch längst zu meinen eigenen geworden, denen ich aus freien Stücken folgte. Ich fühlte mich frei, ja, nur glücklich nicht. Aber die Frauen auf den Bildern, die so waren wie ich sein wollte, die wirkten dabei äußerst glücklich und so schienen nicht die Maßstäbe verkehrt, sondern ich. Nicht Feminismus musste her, sondern Selbstoptimierung und die Anleitung dazu konnte ich in den Zeitschriften finden, für die mein Taschengeld reichte.
Ich wurde älter. Ich las andere Zeitschriften und lernte Frauen mit kurzen Haaren kennen, die früher einmal lila Latzhosen getragen hatten und die mir von einer Zeit erzählten, in der Feminismus nichts Altes, sondern etwas sehr Neues war.
Ich hörte von Demonstrationen bei denen BH‘s verbrannt wurden aus Protest gegen Kleidungsstücke, die mittels Metallbügel Brüste in Formen pressen, in die Brüste nicht passen. Ich sah mich um in meinem Umfeld von jungen, gebildeten und selbstbewussten Studentinnen und ich sah nichts als Brüste, die mittels Metallbügel in Formen gepresst wurden, in die Brüste nicht passen. Ich sah keine Brüste mit Brustwarzen, die Bekanntschaft mit der Schwerkraft oder dem Alter oder mit saugenden Babymündern gemacht hatten. Ich fragte mich, was passiert war zwischen den brennenden Bustiers von damals und den Brüsten von heute.
Ich sah alte Fotos von Frauen mit Haaren an Stellen, wo Haare eben wachsen, wenn wir sie nicht rasieren, epilieren oder wachsen. Ich sah mich in meinem Umfeld von jungen, gebildeten und selbstbewussten Studentinnen um und ich sah das Ergebnis gründlicher Anwendung von überteuerten pinken Rasierern und schmerzhafter Kaltwachsstreifen und chemischer Enthaarungscremes, die unangenehm waren, aber nicht so unangenehm wie Haare an Stellen, an denen Frauen keine Haare zu haben haben. So viel Aufwand, um sich für kein Schamhaar schämen zu müssen und ich fragte mich, wann wir überhaupt auf die Idee gekommen waren, uns zu schämen und was passiert war zwischen der Zeit mit den Frauen in lila Latzhosen, die weniger Haare auf dem Kopf aber dafür mehr am Körper trugen.
Ich hörte Geschichten von Frauen, die das „eheliche Recht auf Beischlaf“ boykottiert hatten und sich gemeinsam über Spiegel setzten, um Körperstellen zurück zu erobern, die lange unter Fremdherrschaft gestanden hatten. Ich sah mich in meinem Freundeskreis aus jungen, gebildeten und selbstbewussten Frauen um und erkannte, dass niemand von uns ein gutes Wort hatte für die Körperstellen, die andere Frauen zu anderen Zeiten gemeinsam in Spiegeln betrachtet hatten. Ich stellte auch fest, dass wir nicht im Stande waren über diese Stellen zu sprechen, auch ohne Spiegel. Und dass uns nicht nur die passenden Worte fehlten, sondern auch ganz grundlegendes Wissen.
Ich fand mich in einer Generation von jungen, gebildeten und selbstbewussten Frauen wieder, die nichts über ihren Zyklus wusste, weil sie ihn schon seit je her mit Hormonen unterdrückten. Die nicht nach Nebenwirkungen kleiner weißer Pillen fragten und nicht nach Schadstoffen gebleichter weißer Tampons und deren sexuelle Freiheit darin bestand, Sextoys aus toxischem Kunststoff zu benutzen, der in Babyspielzeug längst verboten war.
Ich sah mich in einem Umfeld von jungen, gebildete Frauen, die sexuell alle sehr selbstbewusst wirkten, die in ihrem Wirken aber vor allem sexuell und wenig bewusst und noch weniger „selbst“ waren und sich dabei wenig um die Gesundheit und das Wohlergehen der Körperstellen kümmerten, für die sie keine Worte hatten.
Und langsam begann ich mich zu fragen: Feminismus, kann das weg – oder brauchen wir das noch?
Elisa Sievers