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Es war einmal eine Drama-Queen

I

Ich bin fünfzehn und ich habe gelernt mich anzupassen,
leider heißt das manchmal auch, ich habe gelernt mich anfassen zu lassen,
und Sachen mitzumachen, die eigentlich nicht zu mir passen.
Ich habe gelernt auf Schuhen zu laufen, die höher nicht sein könnten ohne umzufallen
und Kleider zu tragen, die kürzer nicht sein könnten ohne aufzufallen.
Dabei ist auffallen natürlich das oberste Ziel –
und gleichzeitig bloß nicht gesehen werden – es ist ein verwirrendes Spiel,
dessen Regel sich immer zu ändern scheinen, wenn ich gerade dachte ich hätte sie durchschaut,
um dann festzustellen, ich habe mein Traumschloss auf Treibsand gebaut.
Denn irgendwie scheine ich die Blicke nie richtig zu deuten,
sind die Worte immer anders gemeint als von mir interpretiert,
oder könnte jemand absichtlich mit meinen Gefühlen spielen?
Handle ich in Wahrheit gar nicht frei, sondern total manipuliert?
Alles scheint mehr Schein als Sein zu sein,
das gilt für meine falschen Nägel und blondierten Haare wie auch für deine Versprechen,
die du mir heute gibst, um sie morgen zu brechen,
während ich so tue als ob es mich nicht interessiert,
und mir einrede, dass mir sowas nicht nochmal passiert.
Sicher, diese Tage wünsche ich nicht zurück,
aber hätte ich nie das Spiel selbst gespielt,
wie könnte ich Trug unterscheiden von echtem Glück?
Wie wissen, dass ich mich oft selbst vom Glücklichsein abhielt?

Und würd‘ sie sich dessen noch grämen, dann hätt‘ sie wohl nicht darüber geschrieben,
doch entschied sie sich längst statt fürs Grämen fürs Lieben.

II

Ich bin sechzehn, als unsere Blicke sich treffen und die Welt um uns still zu stehen scheint,
eben noch Fremde aus völlig verschiedenen Welten, plötzlich in einem Herzschlag vereint,
in einer tanzenden Menge zwei Körper, die sich zum gleichen Rhythmus bewegen,
zwei Lebenswege die sich kreuzen und sich zu einem Netz verweben,
eine bedingungslose Kapitulation von zwei noch ungebrochenen Herzen,
mutig, hoffnungsvoll, irrational und furchtlos angesichts drohender Schmerzen.
Die Tränen des Abschieds schmecken so salzig wie deine Lippen, die in der Brandung des Meers
die meinen finden,
wir sind noch so jung, und doch wild entschlossen uns für immer zu binden.
Allen widrigen Umständen zum Trotz, der elterlichen Vernunft zum Hohn,
getrennt von einem Weltmeer, verbunden durch ein Telefon,
und eine Sprache, die von keinem von uns die Muttersprache ist,
du bist schwarz und ich bin weiß, doch wir sind beide Optimist.
Kein Flugticket ist zu teuer, kein Weg ist zu weit,
kein Abschied zu schmerzlich, um nicht wenigstens für kurze Zeit,
die Realität zu vergessen und wieder einzutauchen in unseren Traum,
ihn ein Stückchen weiter zu träumen, an einem Ort zwischen Zeit und Raum,
und das böse Erwachen noch ein bisschenlänger hinauszuschieben,
um Tage, Monate, Jahre – nicht dran denken, noch ein bisschen weiter lieben.
Je höher der Flug, desto härter der Fall,
und ich weiß, nie wieder wird es wie beim ersten Mal,
zwei Herzen, die sich erschrocken ein Stückchen verschlossen,
aber die dafür eine große erste Liebe genossen.

Und würd‘ sie deshalb noch trauern, dann hätt‘ sie wohl nicht darüber geschrieben,
doch entschied sie sich längst statt fürs Trauern fürs Lieben.

III

Ich bin zweiundzwanzig, du trägst einen Ehering und bittest mich deine dritte Frau zu sein,
das lehne ich ab, doch auf heimliche Geliebte lasse ich mich ein.
Ich verabschiede mich von meiner Moral und von meinem Gewissen,
denk ich an deine Familien geht es mir beschissen,
aber wenn wir uns sehen verliere ich mich in deinen Augen und rede mir ein,
nicht mehr als der Tropfen auf den heißen Stein zu sein.
Zwischen Lügen, Alibis und faulen Ausreden,
lebe ich parallel zwei verschiedene Leben.
In dem einen trage ich meinen Körper und mein Verlangen unter Stoffen verborgen,
spiele mit deinen Kindern, teile mit deinen Frauen Alltagssorgen,
nicke dir auf der Straße zu als wenn da weiter nichts wär‘,
dreh unauffällig den Kopf, schaue dir verstohlen hinterher.
In dem anderen lasse ich die Hüllen fallen, um mich im Schutze der Dunkelheit,
mit dir in leerstehende Häuser zu schleichen – das Risiko für ein paar Stunden zu zweit.
Der Preis dafür wäre hoch gewesen, unser Glück, dass wir ihn nie zahlen mussten,
doch nur weil die, die wir betrogen, davon nichts wussten.
Sicher bin ich nicht stolz auf diese Zeit,
aber hätte ich mich nie darauf eingelassen,
wie wüsste ich heute mit solcher Sicherheit,
dass die, die ehrlich sind, in Wahrheit nichts verpassen?

Und würd‘ sie sich dessen noch schämen, dann hätt‘ sie wohl nicht darüber geschrieben,
doch entschied sie sich längst statt fürs Schämen fürs Lieben.

IV

Ich bin dreiundzwanzig und du gefällst mir gut,
dich anzusprechen kostet mich ein bisschen angetrunkenen Mut,
ich habe Lust endlich wieder Gefühle zuzulassen,
und ich denke, dass wir ganz gut zusammen passen.
Doch an deine Regeln will ich mich nicht halten und meine Wünsche sind dir zu viel,
und wir müssen erkennen, wir haben nicht das gleiche Ziel.
Erst viel später habe ich erfahren, dass du nicht alt werden wolltest in diesem Leben
und frühzeitig ausgestiegen bist,
da hab ich endlich erkannt, was du suchtest, konnte ich dir wirklich nicht geben –
und hab dich im Stillen schmerzlich vermisst.

Und würd‘ sie daran noch verzweifeln, dann hätt‘ sie wohl nicht darüber geschrieben,
doch entschied sie sich längst statt fürs Zweifeln fürs Lieben.

V

Ich bin sechsundzwanzig, wir leben zusammen und zum ersten Mal scheint es unkompliziert,
keine Meere oder Menschen die uns trennen und wir haben gemeinsame Ziele definiert,
zusammen erleben wir Abenteuer, du zeigst mir so vieles was für mich neu,
und diesmal lasse ich mich ganz darauf ein, bin herzlich, bin ehrlich bin treu.
So bemüht, alles richtig zu machen und alle Tiefen gemeinsam durchzustehen,
dass ich blind werde für die Dinge, die in die falsche Richtung gehen.
Aber schleichend legt sich ein Schatten über dich,
und für all deine Schmerzen gibt es eine Schuldige – mich.
Als deine Worte mich das erste Mal schneiden bleibe ich stehen – aber folge dir dann nach,
als deine Faust mich das erste Mal trifft will ich gehen – aber bleibe dann doch,
und das Bündel von Schuldgefühlen das du mir gibst nehme ich an,
hänge es mir freiwillig um und bin sicher, ich wachse daran.
Aber meine Welt wird in Wahrheit immer enger und enger,
und meine Versuche dich zu rechtfertigen werden immer länger,
bald habe ich die Angst als einen ständigen Begleiter akzeptiert,
und frag mich nicht mehr ob, sondern nur noch wann es wieder eskaliert.
Und obwohl meine Knochen leichter zu brechen sind als meine Loyalität,
kommt irgendwann der Punkt, wo es einfach nicht mehr geht,
für einen schrecklichen Moment denke ich, es sei bereits zu spät,
und lebend kommen wir aus diesem Abgrund nicht mehr raus,
doch dann kriegen wir die Kurve, kriechen langsam aus der Dunkelheit hinaus,
und es brechen bessere Zeiten an,
wir beide tragen unseren Anteil daran.
Wir können einander vergeben, vergessen werden wir vielleicht nicht,
ich wünsche dir ein glückliches Leben, nur wer die Dunkelheit kennt, der schätzt wirklich das Licht.

Und würd‘ sie deshalb noch leiden, dann hätt‘ sie wohl nicht darüber geschrieben,
doch entschied sie sich längst statt fürs Leiden fürs Lieben.

Es war einmal eine Drama-Queen, die legte ganz leise ihre Zepter nieder,
so mancher hörte noch so manches von ihr, doch niemand sah sie jemals wieder.

Elisa Sievers