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Es wird einmal…

Es ist einer von diesen schwülen Frühsommer Tagen,
auf der Bank unterm Kirschbaum, ganz hinten im Garten,
dort sitz ich wie immer und wenn ich Glück habe kommst du mich besuchen,
dann trinken wir Limo und wenn du Glück hast gibt’s dazu frischen Kuchen.

Doch heut ist was anders, das höre ich an der Art wie du das Gartentor schließt,
wie du mit den Füßen die Kiesel über den Kiesweg schießt,
und dich mit glühenden Wangen neben mir auf die Bank plumpsen lässt,
und wie du mich ansiehst, du drückst meine Hand ein bisschen zu fest,
und stammelst aufgebracht – „Oma, ich muss dich was fragen,
bitte versprich, mir ganz offen die Wahrheit zu sagen,
denn was wir heute gelernt haben, dass kann ich kaum glauben“,
du wischst dir energisch über funkelnde Augen.

Ich hole tief Luft, denn ich ahne, was jetzt kommen mag,
ich wusste immer, irgendwann kommt dieser Tag,
an dem du erfährst, dass wir deine Freiheit von heute damals nicht kannten,
als wir Ent-mächtigung noch Gleichberechtigung nannten.
Sieh dich nur an, du unschuldige Tochter einer neuen Zeit,
ja, ich werd’s dir erzählen, ich schätze du bist nun bereit,
zu begreifen, dass deine Freiheit auf den Schultern unserer Bemühungen ruht,
fühl dich deswegen nicht schlecht, denn es war wichtig und gut,
und du ahnst nicht, wie glücklich ich über deine Empörung bin,
zeigt sie mir doch, unsere Anstrengungen hatten einen Sinn.

Du fängst zögerlich an, doch dann plapperst du zügig drauf los,
deine Augen sind vor Erstaunen immer noch groß:
“ In dem Buch stand – aber das war ganz bestimmt übertrieben,
viele Frauen konnten damals ihre Körper nicht lieben,
es war die Rede von komischen Kleider Maaßen,
stell dir vor, Kleider, die kaum jemandem wirklich bequem passen,
aber in die alle versuchten sich rein zu pressen,
und einige hörten deswegen wohl sogar auf zu essen”.
Du machst eine Pause und siehst mich ungläubig an,
“ Oma, ist an diesen Behauptungen irgendwas dran?”
Mein langsames Nicken bringt dich kurz in Verlegenheit,
doch dann sprichst du hastig weiter, als hätten wir nicht genug Zeit,
für all deine Fragen, all die Verwirrung die in die entsteht – und ich lächle, wie schön, dass es dir heut so geht.

„Das war noch nicht mal das Schlimmste – wie soll ich das sagen,
hat man euch wirklich gezwungen um Erlaubnis zu fragen,
wenn ihr nicht in der Lage wart ein Kind auszutragen?
Sie sagten sogar was von strafbar, aber das geht doch wirklich zu weit,
Oma, so lange ist das doch nicht her, was war denn das für eine Zeit?“
Du lässt mir keinen Raum zur Antwort, du bist jetzt richtig in Fahrt,
ich erkenne mich in dir wieder, diese aufbrausende Art,
wenn etwas nach Unrecht schreit, dann wird eine Kraft geweckt,
die auch noch in meiner kleinen Enkelin steckt.

“ Also versteh ich das richtig, Verhütung war damals vor allem ein Frauenproblem?
Und wenn dabei etwas schief lief, mussten sie so eine ‚Beratung‘ durchstehen,
um das Recht auf Straffreiheit für einen Abbruch zu erbitten,
aber dann gab es dafür kaum Ärzte, denn der war so umstritten?
Ich mein welche Frauen hatten solche Gesetze gemacht?
Nein – du meinst Männer haben sich das ausgedacht?
Ja stimmt, sie sagten uns, dass das damals oft so war,
nur in welchem Ausmaß, war mir irgendwie nicht klar.”
Und so geht es weiter, du bist nicht mehr zu stoppen,
und bei jeder Frage meinst du, sowas sei nicht mehr zu toppen,
du fragst nach ‚Cat-Calling‘,‘ Slut-Shaming‘ und ‚Victim-Blaming‘,
und warum es extra Worte gab für Normalität,
wie ‚Body Positivity‘ – worum es dann dabei bitte geht?
Man bräuchte schließlich auch keine Vokabel für ‚positiv zum Atmen eingestellt‘,
denn die Vielfalt von Körpern, dass sei doch das normalste der Welt.

Du fragst ob es stimmt, dass Frauen sich damals oft täglich rasierten,
weil sie sich öffentlich sonst so generierten.

Und warum ich zur ersten Blutung keine anständige Feier bekam,
und dann nimmst du mich voller Mitleid ganz fest in den Arm,
als ich dir erzähle, dass ich für die Wertschätzung des Zyklus noch kämpfen musste,
während so manche meiner Schwestern über ihren Zyklus gar nichts wusste,
und mich im Kampf dafür nicht einmal unterstützte,
weil ihr das damals in der Arbeitswelt nichts nützte.

“ Jetzt mal zu den Gerüchten über Sex“ setzt du wieder an,
„erzähle mal, was ist da wirklich dran,
ich hab ein Video gesehen, dass bei euch angeblich als erotisch galt,
aber Oma, das zeigt nur frauenverachtende Gewalt,
und dann waren da diese Kampagnen ‚me-too‘ und ’nein heißt nein‘,
waren so viele Männer denn damals wirklich so gemein?
Und wieso wurden Frauen für ihre Lust beschämt,
wieso haben sich andere über Lustlosigkeit gegrämt,
weil sie meinten im Bett etwas Bestimmtes zu sollen,
warum wussten sie denn nicht, was sie selbst wirklich wollen?
Was war all das Gerede über Konsens und Einvernehmlichkeit,
war das denn davor etwa keine Selbstverständlichkeit?
Und was zur Hölle meinten sie mit Penis-Neid?
Ich mein, die Fähigkeit schwanger zu werden und zu Gebären,
und mit euren Brüsten alleine ein Kind zu ernähren,
wolltet ihr doch wohl kaum wirklich missen,
nur weil’s als cooler galt im Stehen zu pissen?”

Irgendwann schwirrt dir der Kopf, du wirkst mitgenommen,
“ sag Oma, wie habt ihr das damals nur hinbekommen,
bei so viel Unrecht und Verwirrung nicht durchzudrehen,
und so mutig für eure Bedürfnisse einzustehen?

Wie gelang es euch, trotz geschürter Konkurrenz unter Frauen,
einander zu bestärken und trotz Verletzung zu vertrauen,
woher nahmt ihr den Mut, trotz so vieler Rückschläge weiterzugehen,
immer weiter zu rütteln an so einem verrückten System,
das euch eingeredet hat schwach und kompliziert zu sein,
woher nahmt ihr die Kraft, all das Unrecht zu verzeihen?”

„Ja“, sag ich, „Kleines, jetzt stellst du die richtige Frage,
also vergiss bitte niemals was ich dir nun sage.
Denn all diese perfiden Konzepte und Sachen,
erdacht um Frauen gefügig zu machen,
wurden einzig so vehement von denen bewacht,
die so große Angst hatten vor unserer Macht.
Einer Kraft, die direkt aus der Mitte entspringt,
und die niemand auf Dauer endgültig bezwingt,
und die stärker wurde, je mehr wir uns wieder vereinten,
in Kreisen zusammen unsere Wunden beweinten,
um dann aufzustehen und den Weg zu bauen, den du heute gehst –
und auf dem du die alte Geschichte nicht mehr verstehst.“

Elisa Sievers